Die Afro-Sambas des Autorengespanns Baden Powell und Vincius De Moraes gehören zu den wichtigsten Kompositionen des Bossa-Nova-Repertoires. In dem Liedzyklus, den der 2000 verstorbene Gitarrist zusammen mit Rios schillerndstem Poet in den frühen Sechzigern erfand, stecken jedoch eine Menge melodische und textliche Anspielungen an die Anrufungen der Yoruba-Gottheiten aus den afro-brasilianischen Candomblé-Ritualen Bahias. So ist es nur passend, dass vier Jahrzehnte nach der Entstehung sich nun eine der schönsten bahianischen Stimmen dieser Gesänge annimmt.

Es ist das dritte Album von Virginia Rodrigues, die mit ihrer voluminösen, klassisch gebildeten Altstimme unter allen brasilianischen Diven ganz besonders heraussticht. Die Originale, die vom Gitarristen Luis Brazil neu arrangiert wurden, gewinnen eine faszinierende Tiefe: Mal betont man ausdrücklich den afrikanischen Charakter mit Samba-Perkussion ("Canto de Pedra Preta"). Dann wiederum nähert man sich mit Streichorchester der Vorlage auf großflächige, fast symphonische Weise wie im melancholischen "Tristeza e Solidão" oder der magisch-andächtigen Anrufung der Meeresgöttin, dem "Canto de Iemanjá".

Bahianische Volkstümlichkeit blitzt im fröhlichen "Labareda" auf, wo Rodrigues mit ihrem langjährigen künstlerischen Leiter Caetano Veloso duettiert. Der Welthit unter den Afro-Sambas, der "Canto de Ossanha", hat ein spirituelles Chor-Kleid angelegt. Baden Powells bekanntestem Stück überhaupt, dem "Berimbau", begegnet man in den zusätzlichen Titeln, die den Songzyklus auffüllen: Die geheimnisvolle Ausstrahlung der sonst zumeist instrumental gespielten Melodie setzt sich in Virginia Rodrigues' fulminanter Vokalgestaltung fort. Dass die menschliche Stimme das schönste Instrument überhaupt ist, selten hat das jemand so warmherzig bewiesen wie diese Frau aus Salvador da Bahia.